Bei der Anpassung des Aktiengesetzes im Rahmen der Umsetzung der EU-Abschlußprüferrichtlinie und der EU-Abschlußprüferverordnung in nationales Recht ist in §§ 100 Abs.5 und 107 Abs. 4 AktG das bisherige Erfordernis der Unabhängigkeit für den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses bzw. den Finanzexperten überraschend entfallen.
In der entsprechenden Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass durch das in Deutschland prinzipiell geltende dualistische System bereits ein hohes Maß an Unabhängigkeit von Aufsichtsräten gegeben sei. Trotzdem hat sich die Deutsche Corporate Governance Kodex Kommission bei ihrer derzeit in Arbeit befindlichen Neufassung des Kodex erneut der Frage angenommen, welche Kriterien für die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern herangezogen werden können. Es herrscht nämlich nahezu Konsenz in der Debatte um gute Corporate Governance, dass Kontroll- und Aufsichtsgremien eine hinreichende Anzahl unabhängiger Personen angehören sollen. Nur über die Bewertungskriterien gehen die Meinungen noch heute auseinander.
Jetzt haben Julia Redenius-Hövermann und Hendrik Schmidt in einem Arbeitspapier des Institute for Law and Finance der Goethe-Universität Frankfurt am Main den interessanten Versuch unternommen, die Einordnung der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern mithilfe von objektiven und vergleichbar anwendbaren Kriterien zu ermöglichen. Dabei sind in ihre Überlegungen auch die Unabhängigkeitskriterien institutioneller Investoren eingegangen, wie sie etwa in entsprechenden Abstimmungsrichtlinien für die Neuwahl als auch die Entlastung von Aufsichtsratsmitgliedern Eingang gefunden haben, wobei sich diese Kriterien durchaus unterscheiden und auch durch das angelsächsische Corporate Governance System beeinflusst sind.
Redenius-Hövermann und Schmidt haben zunächst bestimmte Gruppen von Aufsichtsratsmitgliedern nach ihrer jeweiligen Herkunft definiert und als unabhängige bzw. nicht-unabhängige Mitglieder klassifiziert. So stufen sie Mitglieder des Aufsichtsrats, die mehr als 10% des stimmberechtigten Aktienkapitals vertreten, grundsätzlich als nicht unabhängig ein, da ihnen unterstellt werden kann, dass sie andere Interessen als die von gewöhnlichen Minderheitsaktionären verfolgen. Gleiches gilt für Aufsichtsratsmitglieder aufgrund einer gesetzlichen oder satzungsbestimmten Entsendung, da sie der jeweils sie entsendenden Institution verpflichtet sind. Ebenso erachten sie politische Mandatsträger, soweit sie etwa nennenswerte Beteiligungsanteile vertreten, als nicht unabhängig. Auch ehemalige Vorstandsmitglieder (auch nach der gemäß § 100 Abs. 2 Nr. 4 AktG und in Ziff. 5.4.5. DCGK vorgeschriebenen Cooling-off-Periode), ehemalige Abschlußprüfer und Berater, soweit sie in den vergangenen fünf Jahren für das Unternehmen tätig waren, und Mandatsträger bei wesentlichen Partnerunternehmen sowie relevanten Wettbewerbern sind ihrer Ansicht nach als nicht unabhängig anzusehen.
Zusätzlich zu den bislang genannten eher herkunftsbezogenen Unabhängigkeits-Kriterien sprechen sich Redenius-Hövermann und Schmidt dafür aus, folgende Kriterien zur dauerhaften Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit heranzuziehen:
- Mandatsanzahl und Zeiteinsatz, wobei es zwischen beiden eine eindeutig negative Korrelation gibt. Da der erforderliche Zeiteinsatz pro Mandat in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, sollte vor Übernahme eines neuen Mandats auch eigenverantwortlich geprüft werden, ob die zeitliche Verfügbarkeit unter Berücksichtigung aller übrigen Tätigkeiten ausreicht, insbesondere wenn mit der Mandatstätigkeit auch die Mitwirkung in Ausschüssen verbunden ist, und ob auch in Sondersituationen zeitlich flexibel reagiert werden kann.
- Mandatshöchstdauer, die verhindern soll, dass Aufsichtsratsmitglieder durch eine zu lange Zugehörigkeit zu einem Gremium ihre unabhängige und damit kritische Sichtweise einbüßen. Hier wird vorgeschlagen, die Einordnung als unabhängiger Aufsichtsrat nach spätestens zehn Jahren zu versagen.
Nach einer entsprechenden Ankündigung des Vorsitzenden der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, Prof. Dr. Ralf Nonnenmacher vor einigen Tagen werden auch im künftigen Entwurf eines überarbeiteten Kodex Kriterien für die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern enthalten sein. Danach soll als unabhängig gelten, wer
- in den letzten zwei Jahren Mitglied des Vorstands der Gesellschaft war bzw. aufgrund einer früheren Zugehörigkeit zum Vorstand noch nennenswerte Vergütungen von der Gesellschaft erhält,
- wesentliche geschäftliche Beziehungen zur Gesellschaft unterhält,
- familiäre Beziehungen zu einem Mitglied des Vorstands hat,
- seit mehr als zwölf Jahren dem Aufsichtsrat angehört,
- in den letzten zwei Jahren verantwortlicher Partner des jeweiligen Abschlussprüfers war,
oder
- Vertreter eines Aktionärs ist, der eine faktische Mehrheit in der Hauptversammlung hat.
Zwar könne der Aufsichtsrat in seiner Einschätzung der Unabhängigkeit von diesen Kriterien abweichen, müsse dann aber erklären, weshalb er trotzdem von der Unabhängigkeit des Mitglieds ausgeht.
Es bleibt abzuwarten, welche Diskussionen etwa im Rahmen des Kosultationsverfahrens diese einzelnen Punkte auslösen werden. Da es von großen institutionellen Investoren und auch von Stimmrechtsberatern zum Teil abweichende Unabhängigkeits-Grundsätze gibt, wird die Diskussion über diesen wesentlichen Aspekt einer guten Corporate Governance weiter anhalten.
Zum Autor:
Dr. Klaus Weigel ist seit 2007 Geschäftsführender Gesellschafter der Board Xperts GmbH, Frankfurt am Main. Er war 25 Jahre für Banken im Corporate-Finance- und Private-Equity-Geschäft in leitender Funktion und als Mitglied in Beiräten und Aufsichtsräten tätig. Die Board Xperts GmbH ist spezialisiert auf die Vermittlung qualifizierter Aufsichtsräte und Beiräte. Dr. Weigel ist zugleich Mitgründer und Vorstandsmitglied der Vereinigung Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland e.V. (ArMiD).
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