Wenn ein Vorschlag an die Hauptversammlung für die Aufsichtsratswahl im Widerspruch zur aktuellen Entsprechenserklärung steht, hat dies keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Wahl. Sie macht den Wahlvorschlag des Aufsichtsrats oder seine Bekanntmachung weder unwirksam noch liegt ein für die Wahlentscheidung der Hauptversammlung relevanter Verstoß gegen Informationspflichten vor.
Wahlvorschlag für Aufsichtsratswahl im Widerspruch zur Entsprechenserklärung
In dem fraglichen Fall stand nach dem Vorschlag des Aufsichtsrats ein Kandidat zur Wahl, bei dem es wegen seiner weiteren Aufsichtsratsmandate eine von der Aktiengesellschaft bisher nicht erklärte Abweichung von den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex („DCGK“) gab. Nach
§ 101 AktG müssen sich Vorstand und Aufsichtsrat einer im regulierten Markt notierten Aktiengesellschaft jährlich dazu erklären, wie weit den Empfehlungen des DCGK gefolgt wird. Diese Entsprechenserklärung ist umgehend zu aktualisieren, wenn die Aktiengesellschaft ihre bisherige Befolgungspraxis unterjährig verändert. Wenn eine solche Aktualisierung unterblieben ist, können nach wiederholter BGH-Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen Hauptversammlungsbeschlüsse über die Entlastung von Organmitgliedern anfechtbar sein. Auch könnte ein gefasster Wahlbeschluss der Hauptversammlung anfechtbar sein, wenn sich der Aufsichtsrat bei der Vorlage seines Wahlvorschlags an die Hauptversammlung in Widerspruch zur bisherigen Entsprechenserklärung gesetzt hätte.
Urteilsbegründung
Der BGH hat in einem Urteil vom 9. Oktober 2018 (AZ II ZR 78/17) entschieden, dass eine Pflicht zur unterjährigen Korrektur der Entsprechenserklärung erst dann bestehe, wenn ein Kandidat, dessen Wahl im Widerspruch zu der bisherigen Entsprechenserklärung stünde, auch tatsächlich von der Hauptversammlung gewählt worden sei. Daher könne eine unterlassene Aktualisierung der Entsprechenserklärung auch keine Auswirkung auf den zuvor gefassten Aufsichtsratsbeschluss über die Vorlage eines entsprechenden Wahlvorschlags an die Hauptversammlung haben. Auch ein Informationsdefizit auf Seiten der Aktionäre sei nicht gegeben, da weder § 161 AktG noch andere aktienrechtliche Vorschriften eine Verpflichtung der Aktiengesellschaft beinhalten, die Aktionäre über die Vereinbarkeit einer Kandidatenwahl mit den Empfehlungen des DCGK vorab zu unterrichten.
Rechtssicherheit für die Zukunft hergestellt
Mit dieser Entscheidung hat der BGH eine lange umstrittene Frage der Anfechtbarkeit von Aufsichtsratswahlen wegen Verstoßes gegen § 161 AktG endgültig und umfassend geklärt. Zwar ist auch weiterhin eine unterjährige, unrichtig gewordene Entsprechenserklärung umgehend zu aktualisieren, damit keine Anfechtungsklage gegen Entlastungsbeschlüsse für Vorstand und Aufsichtsrat droht. Aber die denkbaren Folgen einer ggfs. erfolgreich angefochtenen Aufsichtsratswahl und die sich daraus möglicherweise ergebende Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen oder eine Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats ist für diesen Sachverhalt nicht mehr zu befürchten.
Zum Autor:
Dr. Klaus Weigel ist seit 2007 Geschäftsführender Gesellschafter der Board Xperts GmbH, Frankfurt am Main. Er war 25 Jahre für verschiedene Banken im Corporate-Finance- und Private-Equity-Geschäft in leitender Funktion und als Mitglied in Beiräten und Aufsichtsräten tätig. Die Board Xperts GmbH ist spezialisiert auf die Vermittlung qualifizierter Aufsichtsräte und Beiräte. Dr. Weigel ist zugleich Mitgründer und Vorstandsmitglied der Vereinigung Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland e.V. (ArMiD).
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